Ich fahre am 30.09.2018 mit wenigen Erwartungen und skeptischen Blicken meiner Familie nach Lübeck, direkt in die Nähe des Holstentores, wo ausreichend Parkhäuser zur Verfügung stehen. Der blaue Himmel begrüßt uns und bietet eine wunderbare Kulisse am Burgtorkai. Die MS NORDSTJERNEN sieht man schon von weitem auf der Trave liegen, denn sie ist das einzige Schiff, das sich soweit in die Innenstadt traut.
Das kleine Terminal passieren wir schnell mit unseren durchleuchteten Koffern und gehen nun - ohne pompöses Vorzelt und ohne lange Schlange - die kurze Gangway hoch. Wir finden uns einwandfrei zurecht und erhalten an der Rezeption unsere Bordkarten und Kabinenschlüssel. Das Schiff hat nur 72 Kabinen auf 3 Decks verteilt und ist damit sehr überschaubar. Unsere Kabinen finden wir leicht. Die Koffer stellen wir hinein und…uups…kein Platz mehr, selbst hineinzugehen. Nur ca. 8 m² sind doch ganz schön klein, aber irgendwie auch spannend: Der Schrank füllte sich bereits mit 2 Jacken. Das Badezimmer mit WC und Waschbecken befindet sich bei uns in der Kabine (nicht awie bei einigen anderen Kabinen auf dem Gang) und ist gleichzeitig die Duschkabine. Wir richten uns hier im Bad auch nicht wirklich ein, sonst hätte alles morgens „mitgeduscht“. Einige Kabinen haben allerdings eine abgetrennte „Nasszelle“.
Klar war auch, dass ich auf dem oberen Stockbett schlafen würde. Die Kabine meiner Kinder hat sogar ein Sofa, welches später noch zum Einsatz kommen sollte.
Alle Gäste kommen bis 18 Uhr an Bord und wir legen bei strahlendem Sonnenschein ab. Die soliden Sonnenstühle auf dem hölzernen Salondeck achtern laden zum Zurücklehnen ein. An uns vorbei fahren erst einmal Yachten. Dann folgen wir, um unter der Klappbrücke hindurchzufahren.
Das erste Abendessen erwartet uns als Buffet mit freier Sitzplatzwahl. Es ist ausreichend Platz im Restaurant vorhanden, da das Schiff nur mit knapp 90 Passagieren belegt. Wasser in Karaffen steht auf allen Tischen bereit; Wein, Bier und Softdrinks werden bestellt und auf die Kabinennummer angeschrieben. Anschließend begrüßen uns der Kapitän, die Crew und die Bordreiseleiterin. Die Nacht ist ruhig und wir fahren dem Nord-Ostsee-Kanal entgegen.
Am 01.10.2018 begleitet uns herrlicher Sonnenschein bis wir in Kiel ankommen.
Das erste Reisehighlight kommt näher, die Schleuse des Kielkanals wird sichtbar. Etliche Frachtschiffe fahren uns entgegen, aber wir warten noch, bis wir endlich einfahren dürfen.
Allerdings scheint es auf der „anderen“ Kanalseite stürmisch bis orkanartig zuzugehen. Die Reiseleiterin und der Kapitän sind nervös, das Wetter verschlechtert sich in der Nordsee dramatisch - kaum zu glauben, wenn man in der Ostsee geradedie warme Sonne genießt. Herrlich ruhig „schweben“ wir nun durch den Kanal, und es ist Zeit für einen Kaffee und nette Gespräche an Deck.
Und dann nimmt Alles seinen Lauf…
Dunkle Wolken und Wind ziehen auf und dann ertönt die Durchsage: „Wir drehen im Kanal und fahren zurück in die Ostsee! Keine Chance Helgoland zu erreichen und zurzeit auch nicht die Westküste Dänemarks mit unserem geplanten Erstanlauf in Thyborøn. Der Kapitän und seine Mannschaft denken sich nun den Wetterverhältnissen angepasst eine neue Reiseroute aus. Nützt ja nichts. Oha! Wie schade. Aber lieber gesunde Passagiere an Deck, als seekranke unter Deck!
Wir erleben ein sehr ungewöhnliches Wendemanöver bei Rendsburg und fahren somit zweimal Fahnen schwenkend an den an Land versammelten Nordstjernen-Fans bei Rendsburg vorbei. Der Sonnenuntergang lässt uns alle mit hängenden Köpfen, aber voller Hoffnung zum Abendessen ins Restaurant gehen. Die Sitzplätze sind ab heute fest reserviert und wir genießen das 3-Gänge-Menü.
Es folgt ein gemeinsamer Hamburg-Süd-Abend, zu dem ich als Hamburg Süd -Reiseleiterin in die für uns reservierte Bar einlade. Ich stelle die besondere Art des Reisens an Bord eines Frachtschiffes vor und der Abend endet vergnügt mit meinen sehr interessierten und munteren Gesprächspartnern.
Der Kapitän führt uns mit kräftiger Unterstützung der Bordreiseleitung am 02.10.2018 auf derspontan geänderten Route nach Ebeltoft. Zwei Sehenswürdigkeiten erwarten uns hier: die Werkstatt für Glasbläserei und die historische Fregatte Jylland, die komplett restauriert nun besichtigt werden kann und das Bordleben um 1860 u.a. mit Wachsfiguren und Geräuschen nachstellt. Mit den bordeigenen Zodiaks werden wir stürmisch aber sicher an Land gefahren. Wir schauen uns das überschaubare Museumsareal mit Holzwerkstatt und der Fregatte an, aber der Regen nimmt zu. Der Wind peitscht die Wellen heftigauf. Dann heißt es plötzlich für alle Nordstjernen-Passagiere: Wir müssen sofort den Landgang abrechen und zum Schiff zurück. Gar nicht leicht für die schaukelnden Zodiaks an dem hölzernen Pier anzulegen. Der Matrose schafft es nicht alleine und fordert Verstärkung vom Schiff an. Auch zu dritt schaffen sie es nicht, sicher an die Pier zu gelangen. Ein Einsteigen scheint ebenfalls sehr bedenklich. Die Wellen und der Regen nehmen zu. Wir gehen lieber ins warme und schützende Museumscafé zurück und warten dort ab. Die dänische Reiseleitung vor Ort hält für uns (inzwischen sind wir fast 40 gestrandete Passagiere) den Kontakt zu der Besatzung an Bord. Völlig durchnässt aber heil kommt noch die zweite gute Seele der Bordreiseleitung ins Café und bestätigt uns, dass wir aus Sicherheitsgründen keine Möglichkeit haben, zum Schiff zurückzukehren.
Ahaaa. Wir lehnen uns also zurück, bestellen uns Kaffee, Nachos, Burger und was der Mensch sonst noch so braucht. Mitgebrachte Karten und Tischspiele werden hervorgeholt und sich in Gespräche vertieft. Zusammen mit der Bordreiseleitung überprüfe ich Namen und melde Alles dem Schiff, damit niemand irgendwo herumirrt. Aber alle „Schäfchen“ sind im warmen Café angekommen und bleiben vergnüglich zusammen. Es erreicht uns die Nachricht vom Kapitän, dass das Schiff nun nach Århus abfährt und wir mit einem Bus hinterher fahren werden.
Nun gut, auch das geht. Und zwar inzwischen wieder bei strahlendem Sonnenschein!
Nach ca. 45 Minuten Überlandtour sind wir also in Århus und finden uns an Deck der NORDSTJERNEN ein, damit es Richtung Norwegen weitergehen kann.
Aber schon wieder wird es ungemütlich. Das Abendessen wird serviert aber leider fegen ein paar Wellen nicht nur Teller, Gläser und Flaschen vom Tisch, sondern auch Gäste mitsamt Stühlen rutschen kräftig hin und her. Ohne Stabilisatoren wankt das Schiff scheinbar hilflos, aber trotzdem seefest hin und her. Um nachts nicht aus dem oberen Bett zu rollen, baut meine Tochter nun lieber das Sofa als Bett um. Reine Sicherheitsvorkehrung.
In der abendlichen Runde in der Lounge werden Spucktüten und Anti-Seekrankheitspillen humorvoll ausgeteilt. Und so kommt es, dass wir nachts lieber vor Grenå ankern, um erst morgens schaukelnd durch den Skagerrak nach Frederikstad zu fahren.
Am 03.10.2018 trauen wir unseren Augen kaum vor lauter Sonnenstrahlen. Ausreichende Liegestühle und Sitzmöglichkeiten auf den Decks lassen die meisten Passagiere regenerieren und den interessanten Schiffsrundgang durch über 60 Jahre Schiffsgeschichte verfolgen. Im T-Shirt an Deck fahren wir durch die Schärenwelt und kommen am Abend gut gelaunt in Frederikstad an. Unser kleines Schiff liegt wieder einmal zentral in der Innenstadt. Beim kurzen Abendspaziergang gucken wir uns ein wenig um. Mit der kostenlosen Stadtfähre setzen wir am nächsten Morgen, den 04.10.2018, über zur Altstadt und finden uns im anderen Jahrhundert wieder. Bunte Holzhäuser, Pflastersteine und Handwerk bietet dieser etwas verlassen wirkende Stadtteil. Weiter geht es mit der nächsten Stadtfähre in die Einkaufsstraße, wo wir den Tag ausklingen lassen und später auch mit der Fähre wieder zurück zum Schiff gelangen. Nach dem Abendessen werden wir zur Musik-Quiz-Show in die Lounge eingeladen. Einige Teams liegen mit ihren Antworten weit vorne. Allerdings haben meine 15jährige Tochter und ich keine Chance, weil es sich hauptsächlich um die Musik der 60er Jahre dreht und das lange vor unserer Zeit war. Oder liegt es am wieder aufkommenden Seegang?
Weiter an der norwegischen Küste entlang lichten sich die Reihen wieder und die Spucktüten werden jetzt aufgrund der hohen Nachfrage durch handelsübliche Mülltüten ersetzt.
Das Städtchen Flekkefjord empfängt uns am 05.10.2018 inmitten einer verborgenen Bucht mit einer zauberhaften Pippi-Langstrumpf-Kulisse. Weiß gestrichene Holzhäuser, kleine Gassen, Handwerksgeschäfte und viele Felsen drumherum. Den Felsenberg „Lilleheia“ oberhalb der Stadt gilt es zu bezwingen, was gar nicht so einfach ist. Der angepriesene Wanderweg ist nicht auffindbar, erst ein sehr netter Einwohner muss uns hinführen. Der Ausblick über die Bucht, in der unsere NORDSTJERNEN liegt, ist atemberaubend.
Nachmittags legen wir ab und passieren die südlichste Spitze Norwegens mit dem einzigartigen Leuchtturm. Mit wachsendem Unbehagen blicken einige Passagiere aber auch schon auf die erneute Überquerung des Skagerraks Richtung Ålborg. Wir hingegen spielen entspannt Karten in der Lounge und genießen die Ruhe - ohne Animation und Showprogramm.
Wir schlafen schaukelnder Weise ein und erwachen am 06.10.2018 im Zentrum der dänischen Stadt Ålborg. Eine anschließende Hafenrundfahrt an Bord des historischen Motorschiffes „Kysten“ zeigt uns alle Sehenswürdigkeiten z.B. das alte Fabrikgebäude von Aquavit. Die dänischen Erklärungen werden von mir spontan übersetzt, sodass die 1,5 Stunden im Nu vergehen. Außerdem müssen auf dieser letzten Gästefahrt alle von der Sommersaison übriggebliebenen Getränke geleert werden – auch die Spirituosen, was zur Erheiterung der Stimmung beiträgt.
Der Nachmittag wird von vielen Gästen zur ausgiebigen Shoppingtour genutzt und die gläserne Aussichtsplattform auf dem größten Einkaufskaufhaus bewundert. Der John Bull Pub direkt am zentralen Liegeplatz lädt zu einem Farewell-Ale ein, bevor wir wieder ablegen, die nächtliche Weiterfahrt an Deck genießen und weiter nach Helsingør fahren.
Der Barkeeper überredet uns übrigens, den „Red Dog“ auszuprobieren: bestehend aus Wodka, ein paar Tropfen Tabasco (schwimmt in der Mitte), Sambuca und am Glasrand mit Salz verziert, damit die bereitliegende Zitrone auch besser schmeckt. Die Preise aller Getränke sind trotz norwegischer Krone fair und deshalb bleibt es meistens nicht bei Einem…
Damit haben wir auch gleichzeitig den Wettergott milde gestimmt und ein blauer Himmel mit herrlichen Sonnenstrahlen empfängt uns in Helsingør. Unsere kleine NORDSTJERNEN liegt genau gegenüber vom Schloss Kronborg (auch als „Hamletschloss“ bekannt), das wir zu Fuß erreichen und uns genauer ansehen. Es ist seit 2000 ein UNESCO-Weltkulturerbe. Die Königsgemächer und Festsäle sind wunderbar restauriert und werden anschaulich beschrieben. Der Schlossturm bietet eine beeindruckende Aussicht auf die Stadt.
Der legendäre, steinerne „Holger Danske“ sitzt in den Kellergewölben und erwacht bei Unheil, um die Dänen zu verteidigen. Der Nachmittag ist frei zur Erkundung der Innenstadt und für einen Besuch des „Food Festivals“ in der alten Schiffswerft.
Vor dem Abendessen gibt es in der Lounge noch den Treffpunkt für NORDSTJERNEN-Stempel, Postkarten und natürlich auch wieder viele Informationen über zukünftige Fracht- und Postschiffreisen.
Abends heißt es Abschied nehmen von Dänemark. Und nicht nur das. An Deck werden wir im Kreise aller Gäste und der Crew mit einem Getränk überrascht und verabschiedet. Hier fühlen wir uns als große Familie und genießen den letzten gemeinsamen Abend. Viele kleine (für meinen 10-jährigen Sohn) und große Freundschaften wurden geschlossen.
Die morgendliche Einfahrt in die Trave ist selten bei blauem Himmel zu bewundern. Wir besuchen auf Anfrage die Brücke, die übersichtlich und eng ist, und lassen uns vom sympathischen Lotsen alles erklären. Vorbei zieht die Marmeladenfabrik Schwartau und gegen 10 Uhr liegen wir wieder am Burgtorkai an. Die Gäste verabschieden sich herzlich von den Crewmitgliedern, die sich rührend um alle gekümmert haben. Alle Reisetaschen und auch unsere Koffer werden von der Crew auf die Pier gebracht, sodass jeder Passagier in übersichtlich kleinen Reihen alles wiederfinden kann und zu den bestellten Taxen oder zum eigenen Auto gehen kann. Ein letzter wehmütiger Blick auf die NORDSTJERNEN lässt erahnen, dass man wiederkommen möchte.
Meine Familie und ich haben viele schöne Momente und Eindrücke erleben dürfen. Diese nostalgische Reiseart ohne schnelles WLAN ist erst ein K.O.-Kriterium für junge Gäste, dann aber dank mitgebrachtem Laptop, geladenen Filmen, Kartenspielen und Legosteinen gar nicht mehr sooo schlimm. Gäste aller Generationen setzen sich zusammen, finden gemeinsame Gesprächsthemen oder sitzen auch einfach nur nebeneinander. Ein Nickerchen in der Lounge ist genauso möglich wie die Zigarette auf dem Sonnendeck. Einzelreisende finden sich für lockere Gesprächsrunden zusammen. Der Aufenthalt in den meist kleinen Kabinen von ca. 6-10m² ist nicht sehr verlockend und stattdessen ziehen die Gäste die Unterhaltung in den gemütlichen, öffentlichen Räumen vor.
Ein ganz besonderes Reiseerlebnis!